Rechts: Prof. Hermann Haken nach einem Gespräch mit 3 Synergetik Therapeutinnen. Ute Osswald und Renate Eymann sind Synergetik Therapie Ausbilderinnen am Synergetik Institut und Renate Eymann leitet den Berufsverband der Synergetik Therapeutinnen und Therapeuten BVSTe.V. seit 2005.
Ein Mann blickt durch
Prof. Hermann Haken:
Zitate:
1) "Die Chaostheorie befaßt sich mit wenigen Freiheitsgraden oder
wenigen Variablen und stellt fest, daß schon dann, wenn wenige Variable
zusammenwirken, ein chaotisches, unregelmäßiges Verhalten zustande
kommt. Man kann deshalb fragen, was die Chaostheorie überhaupt mit Selbstorganisation
zu tun hat, weil Selbstorganisation ja aus dem Zusammenwirken von sehr vielen
einzelnen Teilen entsteht. Eine Flüssigkeit besteht aus vielen einzelnen
Molekülen, eine Gesellschaft aus vielen einzelnen Individuen, eine Wirtschaft
aus vielen einzelnen Akteuren. Die Synergetik zeigt, daß eben auch ein
komplexes System, das aus vielen einzelnen Teilen besteht, durch wenige Variablen,
das sind dann die Ordner, beschrieben werden kann. Wenn man dann erst mal bei
wenigen Variablen angelangt ist, dann können sie den Gesetzen der Chaostheorie
unterworfen sein. Das läßt sich auch herleiten. Insofern ist die
Chaostheorie ein Bestandteil der Synergetik."
2) "Synergetik ist eine voraussagende Theorie. Und zwar auf verschiedenen Niveaus. Ich kann einerseits von den Grundgleichungen der Physik ausgehen, z.B. einer Flüssigkeit, und kann dann Voraussagen machen, wie sich die Flüssigkeit unter bestimmten Bedingungen verhalten wird. Dann gibt es Systeme, deren Grundgleichungen man oft nicht kennt, wie z.B. in der Biologie. Da hat die Synergetik eine Mittelstellung zwischen einer phänomenologischen und einer voraussagenden Beschreibung. Bei unseren Untersuchungen über Koordinationen bei Fingerbewegungen, bei der Gehbewegung oder anderen Bewegungsformen von Vierfüßlern, sind wir einerseits phänomenologisch vorgegangen, weil wir erst einmal die Ordner identifizieren müssen. Aber dann können wir doch Gleichungen für die Ordner entwickeln und daraus wieder Vorhersagen machen."
3)
Die visuelle Wahrnehmung ist sehr stark aufmerksamkeitsgeleitet ist. Hermann
Haken hat daher bei der Mustererkennung einen Aufmerksamkeitsparameter eingeführt.
"Das eklatanteste Beispiel dafür sind die sogenannten Kippfiguren.
Man sieht im gleichen Bild entweder eine Vase oder ein Gesicht oder beispielsweise
abwechselnd zwei Gesichter, das einer alten und einer jungen Frau. Unsere Wahrnehmung
geht zwischen diesen beiden Inhalten hin und her. Schon in den 20er Jahren hatte
Köhler vorgeschlagen, daß dieser Effekt auf einer Ermüdung der
Aufmerksamkeit beruhen könnte. Wir sind eigentlich unabhängig von
diesem Konzept auf diese Interpretation gekommen und das gleich in einen Algorithmus
eingebaut, so daß einerseits diese Aufmerksamkeitsparameter auftreten
und andrerseits aber auch die Ermüdung eintritt. Wenn ein Muster erkannt
ist, etwa die junge Frau im Bild, dann ermüdet die Wahrnehmung und sinkt
der Aufmerksamkeitsparameter auf Null ab, wodurch automatisch das andere Bild
zum Vorschein kommt. Das konnten wir im Detail modellieren, und daraus ergab
sich eben diese Konstellation.
Interessant war aber nun, daß dabei auch eine Voreingenommenheit eine
Rolle spielt. Wenn man dieses Kippbild junge/alte Frau Männern zeigt, dann
erkennen 80 % von ihnen zuerst die junge Frau, und wenn man es Frauen zeigt,
erkennen 60 % zuerst die alte Frau. Das ist vielleicht ganz interessant. Wir
haben herausgefunden, daß ein innerer Zusammenhang zwischen der Dauer
besteht, während der der eine Inhalt erscheint, und der Voreingenommenheit.
Wenn also die Voreingenommenheit für die junge Frau größer wird,
dann wird sie länger in diesem Schwingungsvorgang gesehen als die alte
Frau. Das war eine echte Voraussage, die phänomenologisch bestätigt
ist.
4) Wahrnehmungstheorie und Umsetzung: "Der erste Schritt ist, daß wir uns zunächst einmal mit der Entscheidungsfindung befaßt haben. Da gibt es eine umfangreiche Literatur darüber, wie der Manager oder der Privatmann Entscheidungen fällt. Wir haben eine Analogie zwischen der Entscheidungsfindung und dem synergetischen Computer der Wahrnehmung entwickelt. Die Grundthese ist, daß wir in vielen Fällen keine großartige Planung vornehmen und wir dazu auch gar nicht die Zeit haben, sondern daß wir Ähnlichkeiten benutzen. Wir benutzen die Ähnlichkeit zwischen einer neuen Situation und einer schon dagewesenen und entscheiden uns aufgrund der festgestellten Ähnlichkeit. Interessanterweise stellt sich heraus, daß es bei der Mustererkennung auf verschiedene Arten Entscheidungsfindungen gibt. Es gibt eindeutige, aber auch das ständige Hin- und Herschwanken zwischen zwei Entscheidungen oder den besonders interessanten Fall, in dem die neue Entscheidung von der letzen Situation abhängt, obwohl die Situation sich bereits geändert hat. Also man kann schon eine Art Entscheidungstheorie entwickeln, wobei die Schwierigkeit natürlich darin liegt, die Ähnlichkeitsmaße zu definieren. Das kann man tun, aber das ist noch ein weites Betätigungsfeld.
5) Versklavung als gesellschaftstheoretisches Konzept
Gehen wir noch einmal zurück auf die Übertragung von synergetischen
Prinzipien auf soziale Verbände. Wenn man hier von "versklaven"
spricht, dann klingt das eben so, als würden die einzelnen Menschen unterdrückt
werden. Die Frage aber ist doch immer, wo man eigentlich die Systemgrenzen zieht.
Man kann sagen, es gibt die Individuen, dann das Gesamtsystem einer bestimmten
Gruppe, einer bestimmten Nation oder wegen mir der ganzen Weltgesellschaft.
Mit scheint das auch eine willkürliche Sache zu sein, welche Elemente man
als Individuen und welche man als Kollektive bezeichnet. Das ist nach unten
und nach oben offen. Oder gibt es da doch objektive Maßstäbe?
HERMANN HAKEN: "Ich tendiere in dem Fall eher zu objektiven Maßstäben,
weil ich Gruppen aufgrund verschiedener Merkmale unterscheiden kann. Fangen
wir einmal mit dem Äußerlichen an. Anhand der Hautfarbe lassen sich
Gruppen identifizieren. Ich will hier natürlich keinen Rassismus predigen,
aber es gibt objektiv feststellbare Maßstäbe. Genau so gut kann ich
nach Religionszugehörigkeit, nach Parteizugehörigkeit, nach der vorherrschenden
individuellen Meinung, nach Landesgrenzen oder Staatszugehörigkeit unterscheiden.
Es gibt also eine ganze Reihe von äußerlich gegebenen Merkmalen.
Außerhalb dieser Gruppen gibt es andere Merkmale, die sozusagen freiwillig
angenommen werden. Und da ist eben die Frage, wie weit das Wort "freiwillig"
hier zutrifft.
Wenn man an die frühere Sowjetunion denkt, so mußten alle nach außen
hin Kommunisten sein. Das ist schon eine echte Versklavung. Wenn ich eine Religionsgemeinschaft
annehme oder aus ihr austrete, dann unterwerfe ich mich freiwillig. Aber dann
gilt eben dieses unglückliche Wort "Versklavungsprinzip" immer
noch. Ab dem Moment, in dem ich diese Entscheidung getroffen habe, bin ich Mitglied
der Gruppe und unterwerfe mich damit durchaus auch den Riten und Ritualen. Insofern
gibt es einerseits einen weiten Spielraum für das, was man als freiwillig
oder unfreiwillig bezeichnet, aber wenn man andererseits die Merkmale dieser
Gruppe annimmt, dann ist das der Inhalt des Versklavungsprinzips.
6) Warum werden einige Menschen von einer "Modewelle" versklavt
und andere nicht? Welche Randbedingungen müssen erfüllt sein, damit
größere Verbände von einem Ordnungsparameter ergriffen werden,
und warum können sich viele Dinge nicht verbreiten? Kann man da überhaupt
aus der Perspektive der Synergetik etwas sagen,?
HERMANN HAKEN: Darüber kann man schon etwas sagen. Das hängt mit der
inneren Veranlagungen der Teile eines Systems, in dem Fall der Menschen, zusammen.
Es gibt eben Menschen, die für verschiedene Ideen prinzipiell zugänglich
sind. Welche sie dann aufnehmen, hängt von kollektiven Effekten ab. Und
es gibt andere Menschen, die sind auf eine Idee so festgelegt, daß man
sie nicht beeinflussen kann.
Gibt es zum Beispiel in der Physik etwas Vergleichbares?
HERMANN HAKEN: Durchaus. Als einen ersten, sicher noch bescheidenen Schritt
in diese Richtung haben wir unseren synergetischen Computer auf die Analyse
von Szenen angewendet. Als Beispiel dienten Bilder mit bis zu fünf, sich
auch teilweise verdeckenden Gesichtern. Der Computer erkannte zuerst ein Gesicht.
Dann setzten wir den zu diesem Gesicht gehörenden Aufmerksamkeitsparameter
gleich Null. Sodann erkannte der Computer ein zweites Gesicht. Wir setzten dann
den zugehörigen Aufmerksamkeitsparameter gleich Null usw. Es ist ein Leichtes,
daß der synergetische Computer diese Parameter von alleine nacheinander
gleich Null setzt und auf diese Weise vollautomatisch Szenen analysiert, wobei
es sich nicht nur um Gesichter zu handeln braucht.
7) Sie haben sicherlich schon von der Theorie der Memetik gehört, die
Richard Dawkins aufgebracht hat. Er geht davon aus, daß die kulturelle
Evolution auf ähnlichen Mechanismen wie die biologische Evolution beruht,
nur daß hier nicht die Gene, sondern kulturelle Replikatoren eine Rolle
spielen, die er Meme genannt hat. Sie wandern von Gehirn zu Gehirn und stecken
den Menschen gewissermaßen an.
HERMANN HAKEN: Wir haben eine vielleicht damit verwandtes Konzept in Zusammenarbeit
mit Herrn Portugali entwickelt und es "Interrelation Network" genannt.
Dabei geht es darum, daß der Mensch ja nicht nur mit anderen Menschen
korrespondiert, sondern auch über Bibliotheken und Computer neue Gedanken
aufnimmt. Neue Ordnungszustände können durch die Wechselwirkung zwischen
solchen Informationsträgern, den verarbeitenden Maschinen und dem Menschen
selbst entstehen. Und hier könnte, wenn ich Sie richtig verstehe, vielleicht
auch ein Zusammenhang mit der Theorie Dawkins bestehen.
8) Wenn man ein komplexes System, eine Gesellschaft, eine demokratische
Verfassung, einen wirtschaftlichen Zustand in einem Land aufrechterhalten und
stabil halten will, kann einem die Synergetik dafür Ratschläge geben?
HERMANN HAKEN: Wenn man grundsätzlich argumentiert, ist die Ursache für
Systemänderungen letztlich die Änderung von Kontrollparametern. Bei
politischen Systemen sind das nach meiner Interpretation die äußeren
Umstände. Lange anhaltende Arbeitslosigkeit, Hungersnöte, Mißwirtschaft,
Korruption, das sind Dinge, die ein System destabilisieren. Um ein System zu
stabilisieren, muß man deswegen versuchen, den Wunsch der Bürger
zu wecken, das System so aufrecht zu halten, wie es gerade ist. Ich verstehe
das ganz oberflächlich: allgemeiner Wohlstand, eine gewisse Zufriedenheit
der Bürger, auch ein Gefühl der inneren und äußeren Sicherheit
in diesem System sind Bedingungen zur Stabilisierung eines wirtschaftlichen
Systems.
Im Klappentext seiner Buches 1982 steht: "Hermann Haken bietet eine Fülle weiterer anschaulicher Beispiele, die von der Gestaltbildung bei Tieren und Pflanzen über die Bildung der öffentlichen Meinung und kollektive Verhaltensweise in der Wirtschaft bis hin zur Gehirnforschung reichen." Die FAZ schreibt dazu: "Die von Haken geschaffene Synergetik ist nicht nur eine vielseitig anwendbare physikalische Theorie..., sondern eine neue Art der Weltbetrachtung".