Traumataforschung |
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Offizielle
Traumataforschung
ZDF Gesundheitsmagazin Praxis
vom 2. Dezember 1998
Thema: Trauma
Ein Thema, das Millionen Menschen angeht. Große Katastrophen
- sie sind uns noch in sehr klarer Erinnerung, etwa das große Zugunglück
in Eschede. Oder die Katastrophen der Luftfahrt, der Absturz der Swiss-Air-Maschine
vor einigen Monaten, die Explosion des TWA-Jumbos. Immer war es notwendig,
sich auch um die Helfer zu kümmern, für die manche Bilder schwere
seelische Erschütterung bedeuten. Diese Erschütterung aber gibt
es auch fernab der Öffentlichkeit, tagtäglich millionenfach,
z.B. das qualvolle Sterben, der plötzliche Tod von Angehörigen,
selbst durchlebte Todesangst. Traumen des Alltags, die wie eine Wunde
immer wieder aufbrechen können. |
Es
kommt völlig unerwartet. Es genügt ein Geräusch, ein Geruch
oder ein optischer Reiz und plötzlich ist alles wieder da. So als
ob es gerade jetzt geschehen würde.
In Deutschland leiden schätzungsweise 800 000 Menschen an den psychischen
und körperlichen Folgen eines Traumas - einer starken seelischen
Verletzung, ausgelöst durch ein besonders einschneidendes Erlebnis.
Noch Jahre später werden sie von Alpträumen, Schlaflosigkeit
und Angstzuständen heimgesucht. Jederzeit können die Erinnerungen
an das traumatische Erlebnis unkontrolliert hervorbrechen. Immer wieder
muß die belastende Situation dann neu durchlebt werden, besonders
dann, wenn sie lebensbedrohlich war.
Die Forschung erklärt sich das heute so:
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Es wird eine Tendenz, entweder zu Kampf oder Flucht - sich wehren oder sich
entziehen - unterbrochen durch die traumatische Erfahrung und diese unterbrochene
Handlung hat die Tendenz jederzeit wieder aufgegriffen zu werden, um endlich
das, was da zu erledigen war, zu Ende zu führen. Die Ursachen hierfür
liegen in den Speichermechanismen des Gehirns. Nach heutigem Forschungsstand
werden die Sinneseindrücke dort an unterschiedlichen Stellen verarbeitet.
Die
für Gefühle zuständige Speicherregion, wird bei einem traumatischen
Ereignis regelrecht mit Angst oder Wut überflutet. Gleichzeitig behindert
der massive Stress die Weiterleitung der Informationen an Bereiche, die
unter anderem für die Unterscheidung von Vergangenheit und Gegenwart
zuständig sind. Die Folgen signalisieren Gefahr, selbst wenn diese
schon längst vorüber ist. Ein vermeintlich banaler Auslöser
genügt.
Nach langen Jahren der Forschung arbeiten nun auch in Deutschland führende
Traumaspezialisten mit einer neuen Methode. Sie kommt aus Amerika und heißt
EMDR: eine Abkürzung für Eye Movement Desensitization
and Reprocessing.
Auf deutsch: Augenbewegungs-Desensibilisierung und Neubearbeitung. Ein komplizierter
Begriff, für einen einfachen Vorgang. |
Claudia Litzki: Es kommen Anrufe und das Telefon klingelt und Sie
wissen genau, jetzt kommt wieder die Frage Was
hab ich gehört, was ist Dir passiert und allein diese Fragen
und dann kommen direkt die Bilder, und man sieht nur noch die Täter
und man könnte direkt nur noch heulen und sitzt elend da. Oder ich
müßte mal einkaufen gehen, da haben Sie wieder Leute, die Geld
in der Hand haben, ...direkt Atemnot, Zittern, Angstgefühle.
Die meisten Menschen verarbeiten ein Trauma innerhalb der ersten Wochen
und ohne fremde Hilfe. Etwa ein Drittel der Betroffenen aber leidet lange
- unter Umständen lebenslang.
Dabei kann nicht nur die Gefahr für das eigene Leben ein Trauma auslösen,
sondern auch der Tod eines geliebten Menschen, wie der der kleinen Anja
- vor 18 Jahren überraschend an einer Lungenentzündung gestorben.
R.
Lukas: Ja ich war erstmal im Schock und in dieser Phase habe ich
also versucht, mich mit Arbeit förmlich zu überhäufen.
Ich bin also in die Arbeit geflüchtet, kann man sagen, ich konnte
auch nicht sprechen mit meiner Frau, weil ich fand keine Worte dazu.
Lioba
Lukas: Die erste Zeit war ich eigentlich sehr stark, die ersten
paar Tage und dann aber kam das eigentlich nach und nach wie so ein Hammer
auf mich zu und die Hilfestellung vom Arzt her war einfach das, daß
ich Beruhigungsmittel bekommen habe und ich habe die Phase eigentlich
so erlebt mehr wie in einem Film.
Sandra
Lukas: Also ich habe unheimliche Verlustängste, daß,
wenn meine Eltern in Urlaub fahren, daß ich dann unheimlich Angst
habe, daß sie nicht zurückkommen, weil ich halt denke, jetzt
habe ich meine Schwester verloren, jetzt möchte ich meine Eltern
nicht auch noch verlieren. Ich habe es jetzt im Prinzip 18 Jahre verdrängt,
nur mal kurz angeschnitten, viel drüber nachgedacht, aber wie gesagt
drüber geredet halt nicht. Verarbeitet habe ich es halt auch nicht
dann.
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18 Jahre unbewältigter Verlust. Geblieben sind die Ängste. Die
Schwester der kleinen Anja wurde damals nicht mit zu der Beerdigung genommen
- aus Rücksicht. Heute raten Experten genau das Gegenteil. Nämlich,
unbedingt Gelegenheit zum Abschied zu geben. So kann das Ereignis bewußt
verarbeitet und Spätfolgen vermieden werden.
Für alle gilt: Reden - sich aussprechen! Wenn Familie oder Freunde
überfordert sind, am besten in speziellen Selbsthilfegruppen. Egal,
um welche Art der traumatischen Erfahrung es sich handelt: Weinen und trauern
sind natürliche und gesunde Reaktionen. In unserer Erfolgsgesellschaft
häufig ins Abseits gestellt. Wir wollen schnell wieder funktionieren
und unterdrücken den lebenswichtigen Selbstheilungsprozeß! Aber
Trauer braucht Zeit, damit Vergangenes aufgearbeitet und abgeschlossen werden
kann und damit gestern und heute nicht mehr durcheinandergeraten. |
Floto:
Drüber reden haben wir gehört - Stichwort: Selbsthilfegruppen
oder Angehörige ist besonders wichtig.
Prof. Sellschopp: Sehr, sehr wichtig, wird immer wichtiger, weil die
Katastrophen zunehmen. Man schätzt, daß jeder Zweite eine solche
Katastrophe in seinem Leben erlebt. Selbsthilfe heißt, auf keinen
Fall, daß man alleine damit fertig wird, man braucht die Hilfe des
Anderen. Selbsthilfegruppen sind ein Modell, man lernt an der Bewältigung
des anderen, man kriegt Tips, man bekommt soziale Unterstützung von
anderen, das ist das aller-, allerwichtigste und es gibt Leute, die einen
dahin führen, weil man selbst so unter Schock steht, wenn ein Trauma
passiert, daß man oft selbst den Weg nicht findet. Aber es gibt Begleiter,
die einem den Weg zur Selbsthilfe eröffnen.
Floto: Wann reicht darüber zu reden - egal mit wem - nicht mehr
aus? Wann merke ich das selbst.
Prof. Sellschopp: Also durchschnittlicherweise nach ungefähr
einem halben Jahr, wenn die Beschwerden zunehmen, die Angst zunimmt, die
Erinnerungen nicht abnehmen, die Alpträume zunehmen, die Leistung abnimmt,
die Traurigkeit immer da ist und nicht auf das Ereignis konzentriert, dann
sollte ich einen Fachmann aufsuchen oder eine Fachfrau.
Der
Weg heißt erstmal zum Hausarzt, dann zum Psychotherapeuten, doch wir
wissen heute, daß das immer wieder darüber reden auch nicht gesund
ist. Es verstärkt das traumatische Erleben, deswegen suchen die Psychotherapeuten
heute nach neuen Wegen, und es gibt Wege wie speziell traumatisierten Menschen
geholfen werden kann.
Floto: Eine solche Methode - unglaublich, aber doch wissenschaftlich
fundiert und erprobt - die gibt es bereits. Es tut sich also auch auf dem
Gebiet der Psychotherapien doch immer noch wieder was Neues. Silke Rühenbeck
stellt sie Ihnen, diese neue Therapie, vor. -> EMDR |

Dabei bittet der Therapeut den Patienten, sich an die
Gefühle der traumatischen Situation zu erinnern. Diese werden dann
auf einer Skala von null bis zehn, als wenig oder sehr belastend, eingestuft.
Dann folgt der Patient mit den Augen den Handbewegungen des Therapeuten.
Ein
ungewöhnliches Verfahren, das jedoch auf neuesten Erkenntnissen der
Hirnforschung beruht. Durch die Augenbewegungen werden beide Gehirnhälften
stimuliert, es kommt zum Abbau der Blockaden, die das Trauma gesetzt hat.
Der Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Erinnerungszentren
ist wieder möglich. Konzentriert sich der Patient auf seine Angst,
Wut oder Hilflosigkeit, können diese Gefühle endlich relativiert
und eingeordnet werden.
Dr.
Hoffman: Während von dem einen System in das andere umgespeichert
wird, entlädt sich der Affekt, entladen sich die Gefühle, wobei
dies nicht häufig in der Sitzung selbst geschieht, sondern die Leute
bemerken nur das die Bilder verblassen und in den Hintergrund treten.

Die Augenbewegungen werden solange wiederholt, bis die
Ängste auf Null zurückgehen. Bei den meisten ist das bereits
nach 10 Sitzungen der Fall. Sie gewinnen Abstand zu ihrem Trauma und betrachten
es auf einmal mit anderen Augen.
Warnung!
So einfach es aussieht - EMDR sollte nur von speziell ausgebildeten
Therapeuten angewendet werden. Eine unprofessionelle Therapie kann
das Trauma dramatisch verschlimmern. Richtig eingesetzt allerdings,
führt EMDR zu erstaunlichen Erfolgen. |
Erleichterung
- zum Teil, daß halt... daß mir nichts passiert ist, daß
ich noch lebe...
Mit dieser Therapie hab ich es geschafft, wieder atmen zu können,
für mein Kind dazusein, wieder rausgehen zu können, wieder einkaufen
zu können, ich kann wieder lachen, ich engagiere mich jetzt wieder
unter Leuten, also ich geh raus, mach was, ich setz mich nicht wieder
zu Hause hin und mache die Türe zu.
Einer der Wege also, vom Trauma zu neuen Träumen.
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Kommentar: Das ZDF-Gesundheitsmagazin
- bekannt für schulmedizinische Reportagen - beachtet auch endlich
den seelischen Einfluß auf Krankheiten. EMDR wird als neue Methode
dargestellt, dabei hat die amerikanische Psychologin Shapiro schon vor 10
Jahren diese Methode entdeckt. In der Zwischenzeit haben mehr als 10.000
Kliniker an den EMDR-Trainings teilgenommen, weit über 100.000 Trauma-Patienten
konnte geholfen werden. Shapiro glaubte am Anfang, bei EMDR seien die Augenbewegungen
entscheidend, doch es stellte sich heraus, daß auch akustische Reize,
Berührungen oder andere motorische Abläufe ähnlich wirken.
Auch bei EMDR werden die inneren Bilder durch die absichtlichen Störungen
einem Selbstorganisationsprozess unterworfen - die Bilder verblassen. In
der Synergetik Therapie wird aber zusätzlich der Kontext berücksichtigt
und nur in der Innenwelt gearbeitet, daher ist der Prozess schneller und
tiefgreifender. Komplexere Krankheitsstrukturen lösen sich auch auf,
der Klient wird stärker in die Arbeit einbezogen und die gefühlsmäßigen
Reinigungsprozesse laufen nicht unkontrolliert zu Hause. Wann berichtet
das ZDF darüber? |