Psychosomatische Störungen und Wechselwirkungen in der Innenwelt
Probesession
,,Also ich sehe ein Fenster.. .ein großes Fenster, der Raum ist sehr hell
und dann sehe ich durch das Fenster Bäume und neben dem Fenster da ist
ein schwarzer Stoff. So eine Übergardine kann ich sehen. Das Fenster reicht
über die ganze Wand."
Ich fordere sie auf, aus dem Fenster zu sehen, sie sieht nur „Bäume
und dunkle Erde, kein grün, nur Bäume, um die man herumgehen kann,
aber keinen Weg."
Ihr Grundgefühl ist gut und es geschieht nichts Auffälliges. Da wir
nach dem Hintergrund ihrer Symptome suchen, fordere ich ihr Unterbewußtsein
auf, die Symptome in dieses Bild hineinzuprojezieren. Dadurch tut sich plötzlich
eine Lichtung auf:
„Also, ein heller Schein... hinter diesen Bäumen, irgendwie eine
helle Lichtung. Tja... also, es wird immer heller und ich kann aber in diesem
hellen Licht nichts erkennen. Die Bäume treten zurück und ich komme
dem Licht immer näher und das ist so, als wenn ich praktisch nur den Himmel
sähe... einfach nur helles Licht“.
Ich fordere sie auf, sich umzudrehen, zurückzuschauen, was hinter ihr liegt.
Dies ist gleichzeitig auch eine symbolische Anweisung, doch sie kann sich nicht
umdrehen. Irgendetwas hält sie fest: ,,Ich weiß es nicht ...ich kann
nicht... ich kann mich einfach nicht umdrehen...“
Einige Zeit vergeht: ,,Jetzt weicht das Licht wieder weiter zurück. Jetzt
wird es wieder etwas düster und ich hab das Gefühl, als wenn ich rückwärts
wieder zurückginge, ich gehe rückwärts zurück und das Licht
ist immer weiter entfernt. - Jetzt ist alles dunkel, auf einmal. Auch die Bäume
sind nicht mehr zu sehen ... ich stehe vollkommen im Dunkeln."
Ich empfehle ihr, wieder in den Gang zurückzugehen und bitte sie, eine
andere Tür zu nehmen. Darauf schreibe ich: MEINE KRANKHEIT. Mit den Worten,
laß dich überraschen, was da auftaucht, spiele ich ihr das Geräusch
einer sich öffnenden Tür ein.
„Das ist nur ein sehr großer Raum, der ist sehr, sehr hell...es
sind auch Bilder an der Wand, ich kann nur nicht erkennen welche. Es ist sehr
weitläufig, wie in einem Saal und der wird immer größer. Ja
und da kann ich jetzt einen Parkettboden erkennen."
Ich will die Symptome ihrer Krankheiten in das Bild hineinbringen und frage
sie, was ihr zuerst einfällt: ,,Na.... zuerst denke ich an meinen Hals."
Ich aktiviere diesen Bereich mit folgenden Worten: „Genau, dann laden
wir dieses Symptom - dieses „nicht gut atmen können“ oder was
immer das war - ein, es soll in diesen Raum in Erscheinung treten, sich dort
jetzt ausdrücken“.
Sie berichtet mir mit stockenden Worten folgendes:
„Ja, der Raum wird kleiner...es wird enger...ja, er wird kleiner, es rückt
alles mehr zusammen...die Wände und so...das rückt alles mehr zusammen.
Ich muß tief Ein - und Ausatmen...es wird auch dunkler...es war vorher
ein ganz heller Raum und der wird dunkler...enger und dunkler...Unruhe kommt
auf“.
Ich unterstütze ihren Atem und begleite sie da hindurch: „Es ist
etwas heller geworden...nicht mehr so ganz dunkel, aber immer noch eng , aber
heller ist es geworden...und jetzt kommt wieder so ein Lichtschein, genau wie
am Anfang."
Sie fängt an, sich zu bewegen, es entwickelt sich ein sog. körperliches
Spontanritual, das sie mit folgenden Worten beschreibt: ,,Ja.. .mein Körper
hat das Gefühl sich zu bewegen...er möchte sich ausdehnen, der Unterleib
möchte sich ausdehnen...der Bauch zieht sich ein und das Kreuz drückt
so zur Seite".
Ich unterstüze dieses Selbstheilungsritual und ermuntere sie anschließend,
noch einmal in den Raum zu gehen, um die dadurch erzielten, dortigen Veränderungen
wahrzunehmen.
,,Ich würde sagen, der Raum ist wieder größer geworden und heller...jetzt
hat sich der Kopf, der Nacken, der ganze Hals gestreckt. . . .und jetzt ist
die Enge ein bißchen weg, es ist mir leichter. Na, ich fühl mich
auch etwas wohler im Brustbereich...im oberen Brustbereich fühl ich mich
etwas erleichtert. Der Raum ist großräumig, ist alles wieder sehr
weit weg gerückt, die Möbel und alles sehr weit weg. Die Fenster,
Türen sind heller, hell beleuchtet, würd ich sagen und ein glitzernder
Boden - der hat Glanz, der ist in Glanz gehüllt."
Ich frage nach weiteren Symptomen, sie nennt „Herzrasen“ und ich
bitte auch dieses Symptom, sich in das bestehende Bild zu integrieren. „Was
siehst Du?“
,,Ja, da kommt jetzt ein...ein...Schatten auf den Boden gekrochen... ein schwarzer
Schatten
es kriecht über den Boden, aber sehr groß, ein sehr großer,
tiefschwarzer Schatten... sehr, sehr dunkel. Also dunkler, als normal ein Schatten
ist, ganz tiefschwarz, so wie ein Ungeheuer oder sowas."
Ich antworte ihr: „Jaja, dann haben wir genau das Symptom erwischt. Das
ist meistens sowas ähnliches, weil Herzrasen was Bedrohliches ist.“
,,Ja.... das... er läuft auf allen Vieren“, entgegnet sie. Ich teste
diese innere Gestalt mit folgender Aufforderung: „Dann soll er mal kurz,
die Vorderfüße - seine beiden Arme - hochheben, als Zeichen, für
Ja. Ist er bereit, mit uns zu reden, jetzt? Macht er das?“
,,Ja.. sieht so aus."
Das Symptom ist, wie meistens kooperativ und ich frage es nach den Ereignissen,
die zu seinem Entstehen beigetragen haben. Die Klientin teilt danach folgende
Wahrnehmungen mit: ,,Jetzt bekomme ich einen ganz kalten Kopf... und ein Rieseln
über dem Kopf, kaltes Rieseln, wie Nadeln... wie Nadeln... als wenn der
ganze Kopf voller Nadeln wäre...also jetzt ist auf einmal alles dunkel.
Vor meinen Augen ist nur Dunkelheit. Ich sehe gar nichts mehr. Ich kann gar
nichts mehr erkennen."
Ich gebe ihr eine Hilfestellung: „Stell Dir vor, du hältst so etwas
wie ein Album in der Hand. In diesem Album sind so die wichtigsten Erinnerungen
drin und ich hätte jetzt gerne das Bild von der Erinnerung, die dein Herzrasen
mitverursacht oder auch dieses Nadelgefühl an Deinem Kopf - das scheint
zusammen zu gehören, denn es ist genau danach aufgetaucht. So, du schlägst
dieses Album einfach auf und dann guckst Du Dir die Bilder an.“
Auch für mich völlig überraschend teilt sie mit, daß keine
Bilder in dem Album sind. Erstaunt sage ich: „Entweder sind die Erinnerungen
verdrängt - also sehr gut versteckt, sodaß sie nicht auftauchen -
oder sie sind tatsächlich nicht da, was aber selten wäre.
Gut! Nimm Dir mal ein Blatt Papier und lasse eine Jahreszahl auftauchen und
zwar die, die mit der Erinnerung zusammenhängt, die dazu geführt hat,
daß Dein Herzrasen angefangen hat. Was für ein Datum oder für
eine Zahl steht jetzt auf dem Zettel drauf?“
„Mir fällt 1991 ein...ja...da hat es begonnen irgendwann... das war
so... Ich hab meinen Vater verloren... als er 56 Jahre alt war und als ich dann
in das Alter kam, da habe ich mir eingebildet, ich würde auch nicht viel
älter werden. Und als ich dann, na ja 59 so war, da kam die Angst vorm
Sterben. Da wars plötzlich dann vorbei, da konnte ich nicht mal meinen
60ten Geburtstag feiern. Da war auf einmal alles vorbei. Ich war wie zerstört.
Die Angst vorm plötzlichen Sterben."
„Jetzt verstehe ich auch, warum keine Bilder aufgetaucht sind, denn es
gibt keine Erinnerungen, die Dir Angst machen - keine Ereignisse, darum ist
das Album leer“ erkläre ich ihr. „Wären Erinnerungen da
gewesen, wären auch Bilder im Album. Das ist eine Angst, die Du hast, die
zu einem Ereignis gehört, das in der Zukunft liegt. Normalerweise gibt
es immer Erinnerungen, gibt es immer ganz klare Bilder. Wir werden jetzt die
Angst vor dem Sterben bearbeiten. Erinnere dich noch einmal, wie das war, als
Dein Vater gestorben ist und es kann sein, daß diese Erinnerung ein bißchen
weh tut.“
Während dieser Worte beginnt sie schon zu weinen. Ich fordere sie auf,
ihn noch einmal da sein zu lassen und dann mit ihm zu reden und ihm mitzuteilen,
was weh tut. Und ihn dabei anzuschauen. Man kann direkt mit den Innenweltfiguren
reden und die Konfrontation ist dann am stärksten, wenn Augenkontakt hergestellt
wird. Die vorhandene Spannung ist dann am größten und kann abfließen.
„Und laß Deinen Atem ganz frei gehen - das ist schön, zu weinen,
spür einfach, wie es erleichtert und spür diese Traurigkeit, sie ist
ein Teil von Dir, die auch die ganze Zeit in Dir gelebt hat. Und erzähl
deinem Vater von dieser Traurigkeit oder von der Sehnsucht, die Du nach ihm
hast oder was auch immer“.
Unter Weinen berichtet sie, daß er noch vor kurzem im Traum erschienen
sei und dann fragte sie ihn immer wieder: „Warum bist Du denn einfach
weggegangen, warum bist Du einfach weg?“ Sie hatte keine Zeit mehr, sich
von ihm zu verabschieden, erzählt sie unter Tränen. „Er lächelt
nur, er sagt nichts“. Ich frage sie, ob sie nicht auch ärgerlich
sei, wütend und das könne sie ihm auch sagen!
,,Ja, ich bin ärgerlich", betont sie weinend. „Das Herz schlägt
jetzt ein bißchen stärker... aber normal“. „Wie fühlt
sich Dein Herz jetzt an?“ „Stärker, ja!"
„Sag mal einfach zu Deinem Herzen: Herz ich fühle Dich jetzt und
ich fühle, daß Du stärker schlägst und normal oder so ähnlich“,
gebe ich ihr vor.
,,Ja... .ich fühl mich wohl dabei, wenn das Herz ein bißchen stärker
schlägt, als wenn es so lasch ist. Jetzt hat der Oberkörper das Gefühl,
sich strecken zu wollen...also vor allen Dingen wieder der Nacken und der Hals.
Es will alles nach oben... strebt es und will sich nach oben ausstrecken. Vor
allen Dingen, die Halsmuskulatur."
Sie räuspert sich: „Heute hab ich so das Gefühl - früher
nicht, aber heute - daß er sich zu wenig um mich gekümmert hat. Er
hatte nie Zeit."
„Sag es ihm! Das ist wichtig, daß Du es ihm gegenüber mal aussprichst“.
„Du hättest Dich mehr um mich kümmern müssen!“ weint
sie. „Hast Du es ihm denn mal gesagt?“,,Nein! Ich hab mich nicht
getraut. Ja. das stimmt. Ich hab’ es auch nicht so empfunden, um da irgendwas
zu sagen. Nein damals nicht, aber heute. Ich meine, es wäre notwendig gewesen.
Dann wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Ich hätte mir alles gewünscht,
was ich als Einzelkind eigentlich gar nicht hatte. Ich war immer mein ganzes
Leben lang auf mich allein gestellt. Ja, das brave Kind an der Seite, das gerade
so mitläuft."
Sie erklärt weiter: “ Meine Mutter hatte viel Zeit, die hat mich
beengt, aber sie hat sich nicht viel mit mir abgegeben." „Ok - laß
sie auch auftauchen und sag es ihr.“ ,,Ja.. na das brauche ich ihr nicht
zu sagen, weil kurz vor ihrem Tod hat sie mir gesagt, ich hab alles falsch gemacht."
Ich erklärte ihr: „Laß das Bild von Deiner Mutter auftauchen
und sag das dem Bild, da dieses Bild noch in Dir ist und dieses Bild löst
auch noch Enge aus, da die ganze Erfahrung mit Deiner Mutter mit Enge gekoppelt
ist.“
,,Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ich, ich ...ich verdränge das...ich will
nicht denken an meine Mutter...ich verdränge das immer. Ich habe Angst,
daß, wenn ich an sie denke, dann würde sie über den Tod hinaus
mich noch beengen."
Ich versuche ihr die Wichtigkeit der inneren Wirklichkeit mit folgender Darstellung
aufzuzeigen: „Ja, ist klar, aber was ich Dir sagen will ist, Du verdrängst
es und dann wirkt es in Deinem Unterbewußtsein einfach ständig als
Enge weiter. Und ich vermute auch, daß das mit ein Grund für deine
verschiedenen Symptome ist. Wenn Du Deiner Mutter soviel Macht gibst über
Dich, daß Du sie verdrängen mußt, dann hat sie mehr Macht,
immer noch. Aber wenn Du ihr sagst in Dir: So, Schluß jetzt, jetzt laß
ich mich nicht mehr beengen, also Widerworte gibst oder sowas, dann verliert
sie auch an Macht. Das ist wirklich so, probier es mal aus. Also laß ein
Bild von Deiner Mutter auftauchen - nicht Deine Mutter - die ist gestorben,
die ist weg, aber das Bild von ihr, das ist noch drin in Dir.“
Sie ignoriert diese Aufforderung und versucht es mir zu erklären, indem
sie über den Sachverhalt redet: „Meine Mutter war ja dann nachher
krank und ein Pflegefall und ich mußte ja für sie da sein. Ich hab
das ja auch gern gemacht. Aber kurz dann, bevor sie gestorben ist, bin ich krank
geworden und man denkt doch, wenn man dann alleine ist und frei, dann kann man
dies oder jenes tun. Nein, dann aber, in dem Moment, wo das gewesen wäre,
war es aus mit mir. Da war ich wieder meiner Freiheit beraubt, durch diese krankhaften
Zustände, deshalb will ich darüber nicht nachdenken. Das ist jetzt
3 Jahre her."
Ich dränge nicht nachhaltiger, denn ich bemerke ihre starke Verwicklung
und lade sie wieder in den Raum ein, um sich wieder selbst ein Bild von ihrer
Innenwelt machen zu können. „Es ist nicht mehr so großräumig.
Es ist jetzt wieder ein bißchen näher gerückt.. alles so normal.
Es hängen sehr viele Bilder in diesem Raum und sehr, sehr große.
Es sind irgendwelche Ahnen.. würde ich sagen... Familie. Und große
Türen sind auf einmal drin...sehr hohe Türen...sehr hoch, die also
fast bis an die Decke gehen."
„Wenn da noch Türen auftauchen, heißt das, wir können
mit diesen Türen wieder arbeiten“. Ihr Unterbewußtsein bietet
wieder Türen als Eingänge in das verwickelte Material an, denke ich
bei mir und lasse es für heute darauf beruhen.
„Ich sehe jetzt auch Teppiche auf einmal da liegen, vorher war es nur
Parkett, nur blanker Boden, jetzt wird es gemütlicher. Ich sehe da in der
Ecke auch so eine Sesselgruppe, es wird jetzt bewohnbar. Also, was vorher aussah
wie ein Saal, sieht jetzt doch mehr wie ein Salon aus. Ich sehe sogar jetzt
da eine Palme stehen. Also, eine große Pflanze ist bei der Gruppe da hinten
plötzlich aufgetaucht.“
Ich will ihr auch die Veränderung des ersten Raumes vorführen und
bitte sie, dahin zu gehen. „Ja, das Fenster ist noch da und der Raum ist
auch etwas wohnlicher geworden. Da steht ein Schreibtisch vor dem Fenster."
Zum Abschluß dieser Probesession erzählt sie mir noch: „Mmmh...ich
bin ziemlich ruhig , jetzt. Ich verdränge sehr viel und bin auch ein Mensch,
der so alles in sich verschließt. Ich bin kein Mensch, der das nach Außen
bringt und so bin ich nicht erzogen worden. Von klein auf hieß es immer:
Alles, was im Haus passiert oder was ist, gehört nicht an die Öffentlichkeit
und da weiß ich, daß ich mal gesagt hab, ja was soll man denn dann
draußen reden? Was soll man denn mit den Menschen reden, weil das ist
doch der Gesprächsstoff?“
„Diese Erziehung teilt sie mit vielen anderen Menschen, die psychosomatischen
Beschwerden auch“, dachte ich mir. Sie absolvierte anschließend
noch einige Einzelsitzungen mit intensiven Veränderungen und Auflösung
ihrer Beschwerden.